Wie Lobbying auf Bezirksebene funktioniert
Kommt die EUREF-Uni oder nicht?
Diese Frage stellten sich Bezirkspolitiker und Bürger in Tempelhof-Schöneberg, nachdem die Initiatoren des Bauprojekts am Gasometer immer wieder erklärten, hier werde demnächst eine private Energie-Uni entstehen. Von einer Pressekonferenz der Betreiber am 05.11.2008 wurde vom Tagesspiegel und der Berliner Morgenpost berichtet:
In den nächsten Monaten will de Maizière die angestrebten 200 Millionen Euro Stiftungskapital aus Quellen in Deutschland, Europa, Russland und Arabien einsammeln
Ende Oktober 2009 dagegen berichtete der RBB in einer Sendung Dossier andere Neuigkeiten: Ein dreistelliger Millionenbetrag sei für eine private Universität erforderlich. Und dieses Geld sei nicht da. Nun gingen die Betreiber des Projekts selbst an die Öffentlichkeit:
Reinhard Müller – hat gestern bekannt gegeben, dass das private Energie-Institut Euref (Europäisches Energieforum) frühestens in fünf Jahren an den Start geht
berichtete die Berliner Morgenpost nun. Jedenfalls jetzt wurde deutlich: Die private Universität unter dem Kürzel „EUREF“ war eine Luftnummer und wird dies vielleicht auch weiterhin bleiben.
Ist das wirklich so überaschend ?
Die Bezirkspolitik reagierte überrascht und enttäuscht. Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) wurde in der Presse zitiert:
Ein überzeugendes Projekt. Ich bedauere aus heutiger Sicht, dass ich nicht früher über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Uni-Projekts unterrichtet wurde.
SPD-und CDU Fraktionsvertretern des Bezirks entwickelten Gefühle in Bezug auf das Projekt. Einer hatte zuvor seine Begeisterung für das Projekt gegenüber der Bürgerinititative mit einem „guten Bauchgefühl“ begründet – der damalige Bezirksverordnete Andreas Baldow (SPD). Damals war er noch Ausschussvorsitzender im Stadtplanungsausschuss und stadtentwicklungspolitischer Sprecher seiner Partei in Tempelhof-Schöneberg. Heute arbeitet er unter Bezirksstadtrat Bernd Krömer (CDU) im Amt für Planen und Genehmigen des Bezirks Tempelhof-Schöneberg – auf ausdrücklichen Wunsch von Krömer.
Das trifft sich gut. Ist doch bereits vor längerer Zeit Christian Kuhlo aus der selben Abteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in die Privatwirtschaft gewechselt. Kuhlo betreut jetzt auf Seiten des Vorhabenträgers das Projekt Gasometer und arbeitet als Prokurist bei der Firma Konzeptplus, die für Projektentwickler Reinhard Müller das Vorhaben betreut. Schön, wenn man sich von früher kennt.
In der letzten Debatte der Bezirksverordnetenversammlung vor der Beschlussfassung über den B-Plan 7-29 fallen oft Begriffe wie „Vertrauen“ und „Hoffnung“. Unklar bleibt, worauf sich Vertrauen, Glaube und Hoffnung der Bezirkpolitiker rational begründen. Offensichtlich sind hier Gefühle geweckt worden.
Zuvor jedoch gab es häufig Feste und kleine Empfänge des Projektentwicklers mit Häppchen und zum Teil mit wichtigen und bekannten Bundespolitikern, die auch das Projekt lobten. Zu solchen Gelegenheiten wurden oft auch Bezirkspolitiker und Verwaltung eingeladen. Projektentwickler Reinhard Müller war viel im Bezirk präsent und hielt den persönlichen Kontakt zu den Entscheidungsträgern, nahm an mehreren Sitzungen von Stadtplanungsausschuss und BVV selbst teil. Auch hier fand demnach intensive „Beziehungsarbeit“ statt und es wurde durch den Vorhabenträger mit Erfolg versucht, einen persönlichen Draht zu den Entscheidungsträgern und der Verwaltung aufzubauen.
Lobbying oder auch Strippenziehen
Solche Imagepflege nennt man neudeutsch Lobbying – altdeutsch Strippenziehen. Das können nicht nur große Firmen, die sich ihre eigenen Gesetze in den Bundesministerien schreiben, das geht auch im Kleinen und es lohnt sich. Lobbying/Strippenziehen ist keine Korruption und nicht strafbar. Die Übergänge sind aber fließend.
Lobbying ist professionelle Interessenvertretung und hat System.
Die Bezirkspolitiker hätten sehr wohl wissen können, dass es wirtschaftliche und inhaltliche Schwierigkeiten bei den Plänen für eine Privatuni gibt. Es gab Streit der Projektpartner, stets blieben die Unterstützer namentlich unbekannt. Auch heftige Proteste der Anwohner hätten die Politiker zu Misstrauen und Nachfragen anregen können.
Nachfragen in der Sache und zur Wirtschaftlichkeit der Ideen privater Projektentwickler sollten zum Handwerk jedes Politikers gehören. Ebenso wie Grundkenntnisse im Lobbying. Politiker müssen Ideen von Lobbyisten immer kritisch prüfen. Dabei hilft ihnen die Fachverwaltung.
Genau das geschah hier nicht. Im Gegenteil: Bezirksstadtrat Krömer (CDU) peitschte das B-PlanVerfahren durch und stellte sich ganz auf die Seite von Reinhard Müller – stets unterstützt vom Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD), der sogar einen fragwürdigen Mäzenatentum-Vertrag mit einer Firma des Projektenwicklers schloss.
Die BI Gasometer möchte auch hier – wie schon bei der fachlichen Kritik an der Planung- den Bezirk konstruktiv unterstützen. Wir haben daher ein Checkliste zur Prüfung von „überzeugenden Ideen freundlicher Interessenvertreter“ zusammengestellt. Diese sollte man auch in Zukunft bei Gesprächen mit Investoren mitnehmen. Inspiriert wurde diese Aufzählung durch eine Veröffentlichung in der Zeitschrift Politische Ökologie.
Checkliste zum Erkennen von Lobbyisten
10 einfache Regeln öffnen Türen und Herzen. Das kann jeder erlernen und anwenden. Wir haben die Checkliste zur Nachhilfe für Bezirkspolitiker angewendet und Sie können beurteilen, was davon rund um das Projekt Gasometer zutreffend ist.
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Ja-Sager Ziele:Besetzen Sie positive Ziele und Begriffe. In unserem Fall sind das Klimaschutz und Energieforschung. 2007 und 2008, als das EUREF Universitätsprojekt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, stieg der Ölpreis stetig an. Energieforschung war in der öffentlichen Wahrnehmung so wichtig und akzeptiert, wie kaum ein anderes Thema.
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Nicht kleckern sondern klotzen: Verschönern und übertreiben Sie Ihre Ziele. Informieren Sie einseitig zu den erwarteten Erfolgen (5000 Arbeitsplätze, vielleicht auch 6000) und stellen Sie Selbstverständliches als Extraleistung dar (Sanierung der Nordspitze, für die GASAG und Bezirk die Kosten übernahmen).
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Greenwashing: Begrünen Sie ihre Ziele: Ein CO² neutrales Büroquartier gibt dem ganzen unwiderstehlichen Charme. Egal ob Solarenergie oder Geothermie – für beides gibt es Bundessubventionen und schon das heißt es sind gute Ziele.
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Verschweigen Sie Probleme: Negieren Sie jegliche Zweifel an der Machbarkeit (es gibt viele positive Unterstützer im In- und Ausland, die aber nicht öffentlich genannt werden wollen) und vermeiden Sie Sachdiskussionen, inhaltliche Festlegungen oder überprüfbare Zusagen (Keine Festsetzungen im Bebauungsplan, sondern individuelle städtebauliche Verträge mit dem Bezirk). Gehen Sie nötigenfalls rücksichtslos gerichtlich oder außergerichtlich gegen Kritiker vor, die Ihnen Falschdarstellungen oder Lügen vorwerfen.
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Polemisieren Sie schnell und scharf: Greifen Sie Kritiker auf der persönlichen Ebene an, ohne auf die Sachebene einzugehen. Zum Beispiel als Miesmacher, Fortschrittsfeinde etc. Hier ist auch die Kombination mit Regel 10 hilfreich. Lassen Sie andere „sudeln“ und suchen Sie immer den Rechtsstreit, wo es nur geht. Binden Sie für derartige Aktionen Presse, Journalisten oder auch eigene Mitarbeiter ein. Mit einer solchen Strategie erklärt sich beispielsweise eine Darstellung und Berichterstattung wie in der PaperPress vom November 2008.
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Seien Sie in der Öffentlichkeit stets präsent: Organisieren Sie stetig kleine Ereignisse, „Events“ für Pressemeldungen mit schönen Bildern. Das vermittelt Wichtigkeit und schafft Status in der Öffentlichkeit. (Besteigung des Gasometers als Event, großflächige Werbung mit dem „Night-screen“ auf dem Gasometer, jetzt auch wieder Sterne mit EUREF als nächtliche Beleuchtung, Richtfest für „WM-Kuppel“).
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Seien Sie persönlich und vor Ort: Geben Sie und gehen Sie zu so vielen Cocktailpartys, Empfängen, Besprechungen wie möglich. Je ungezwungener die Atmosphäre, umso leichter lassen sich Informationen steuern. (Schon beim Richtfest zum Tempelhofer Hafen organisierte der Projektentwickler eine Busfahrt zum GASAG Gelände und stellt sein neues Projekt den versammelten Bezirkshonoratioren vor).
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Kooperieren Sie umfassend mit der Verwaltung. (Die Bürgereinwände des B-plans 7/29 hat ein Planungsbüro geprüft und abgewogen, welches von dem Projektentwickler bezahlt wurde). Das ist bequem und arbeitssparend für die Verwaltung. Behalten Sie aber immer die Deutungshoheit über die Resultate Ihrer Kooperation.
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Seien Sie sparsam mit Gefälligkeiten. Am besten sind unauffällige Geschenke wie z.B. Präsentkörbe, Spenden für Dritte und nicht deklarierungspflichtige Zuwendungen.
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Seien Sie indirekt und lassen Sie ihre Interessen über glaubwürdige Dritte vertreten. (Zum Beispiel über Bundespolitiker oder Professoren als Vertreter der Wissenschaft). Sollten Sie keine unmittelbaren Unterstützer von Rang und Namen haben, dann beschaffen Sie sich welche – auf Honorarbasis, durch Gutachtenaufträge oder durch personelle Einbindung in Ihre eigenen Strukturen.
Worauf sollten Politiker achten?
Finden Sie mehr als 5 der 10 Punkte bei Projektentwicklern oder Bauherrn, fragen Sie nach. Es gibt drei Vorsorgeregeln, die immer anzuwenden sind:
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Schaffen Sie Transparenz – je größer das Projekt umso wichtiger sind Wirtschaftlichkeitsnachweise und gründliche Vorarbeiten.
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Leugnen Sie Zielkonflikte nicht. Diskutieren Sie Pläne öffentlich und beteiligen Sie Bürger und Fachleute möglichst breit . Das erweitert den Blick und vermeidet Abwägungsfehler.
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Sichern Sie die Gewaltenteilung zwischen Politik und Verwaltung. Unterstützen Sie eine fachlich leistungsfähige und kritische Verwaltung und nehmen Sie sich die Zeit, die gründliche fachliche Arbeit braucht.
Der B-plan 7-29 befindet sich noch in der Rechtsprüfung bei der Senatsverwaltung. Die Bezirkspolitiker können also noch den Plan zurücknehmen, die Inhalte anpassen und Festsetzungen im B-plan treffen, die eine stadtverträgliche Entwicklung steuern. Das wäre mal eine Pressemitteilung des Bezirksbürgermeisters, die Wähler und Steuerzahler begeistert. Und das würde den Eindruck in der Öffentlichkeit vermeiden, die Bezirkspolitiker seien der Strippenzieherei erlegen. Ein Beitrag zur politischen Korrektheit auch auf Bezirksebene ist möglich, wenn man die offensichtlichen Anzeichen für Lobbyin ernst nimmt.
Übrigens: Bezirksbügermeister Ekkehard Band (SPD) ist in dieser Funktion zugleich der oberste Anti-Korruptionsbeauftragte des Bezirks.
Weiterlesen zum Thema Strippenziehen
- Zeitschrift Politische Ökologie http://hpd.de/node/7966
- Darstellung bei Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Lobbyismus
ch, 20.11.2009