Kerngebiet ist ein „Optionsschein“ für Spekulanten
Wulf Eichstädt, der renommierte Stadtplaner, stellt in einem am 15.06.2008 veröffentlichten Leserbrief im Tagesspiegel die Misere gegenwärtiger Stadtplanung gut dar:
… hat recht, wenn er beklagt, dass Berlin planerisch nicht auf die Zeichen der Zeit reagiert und die wichtigsten Planungen den Investoren überlässt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat bis vor wenigen Jahren sehr viel geplant. Wir erinnern uns an das Planwerk, die vier Entwicklungsgebiete oder an den Flächennutzungsplan, der eine Stadt von vier Millionen Einwohnern ins Visier nahm, alles Konzepte, die sehr viel mehr bebaubare Flächen vorhalten, als die Stadt in absehbarer Zeit brauchen und tatsächlich nutzen wird.
Das Problem der räumlichen Planung in Berlin ist, dass sie aus diesem Flächenüberangebot keine planerischen Konsequenzen zieht, was Verzicht und Konzentration heißen müsste!
Ein unverzeihlicher Sündenfall in diesem Zusammenhang war die ausufernde Kerngebietsausweisung im Flächennutzungsplan seit 1994. „Kerngebiete“ sind die Vorbehaltsflächen für Geschäfts- und Verwaltungsnutzungen, die am dichtesten und höchsten überbaut werden dürfen und die damit die höchsten Grundstückspreise entstehen lassen. Alle planerischen Krisengebiete dieser Stadt, ob am Zoo oder am Spreeraum zwischen Friedrichshain und Kreuzberg sind Teil dieser viel zu umfassenden Kerngebietsausweisung und die ärgerliche Malaise der Stadt besteht darin, dass sich diese Flächen nicht zu blühenden Stadtlandschaften mit den ersehnten neuen Arbeitsplätzen sondern zu Optionsscheinen, welche die Grundstückspreise hochhalten und börsenähnlich gehandelt werden, entwickelt haben – auf denen sich in der Realität nichts tut, ganz zum Ärger der Bevölkerung ringsherum.
Hier seit Jahren willfährig auf eine Grenzen setzende Steuerung im öffentlichen Interesse verzichtet zu haben, das ist der Vorwurf, den man der Planung in Berlin machen muss.
Wulf Eichstädt, Berlin-Charlottenburg