LEED Gold – amerikanische Goldmedaille am Gasometer
An der Einmündung Torgauer-, Dominicusstraße kündet ein großes Schild von der schönen neuen Bauwelt auf dem Gasometergelände. Links unten wird es goldig. LEED-Gold zertifiziert sind angeblich alle neuen Gebäude. Noch steht zwar keines davon, aber zertifiziert sind sie schon. Aber was ist LEED-Gold? Am Eingang des „Stadtquartiers von morgen“, dem so genannten Euref-Campus, wird ebenfalls großflächig geworben. Hier wird man fündig zum Thema.
Auf einer stilisierten Medaille, die an den guten alten Pfennig aus DM-Zeiten erinnert, lesen wir: LEED GOLD – USGBC, im Bogen darüber U.S. GREEN BUILDING COUNCIL. Alle Achtung! Da wurden keine Kosten und Mühen gescheut auf der Suche nach einem Zertifizierer. Fündig wurde man erst über dem „großen Teich“. Aber gab es hier, auf nationaler Ebene, keinen oder wenigstens in Europa?
Doch! Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB), „eine Non-Profit– und Nichtregierungsorganisation, deren Aufgabe es ist, Wege und Lösungen für nachhaltiges Planen, Bauen und Nutzen von Bauwerken zu entwickeln und zu fördern“.1 Das wäre naheliegend gewesen.
Warum fragt man sich, hat der selbsternannte Mr. Bauqualität Reinhard Müller für seine Goldmedaille den weiten Weg zur USGBC beschritten? Fraglich ist das auch deshalb, weil die U.S.-Amerikaner bisher nicht gerade als leuchtendes Beispiel für energiesparendes Bauen in Erscheinung getreten sind. Also sehen wir uns die USGBC einmal an.
„Das U.S. Green Building Council (USGBC) ist eine gemeinnützige Handelsorganisation, welche sich für nachhaltig gebaute Gebäude einsetzt. Die USGBC ist am besten für die Entwicklung des Systems Leadership in Energy and Environmental Design (LEED) bekannt, eine Versammlung, die die Industrie nachhaltiger Gebäude unterstützt, eingeschlossen umweltfreundliche Materialien, nachhaltige Architekturtechniken und Öffentlichkeitsarbeit. Die USGBC hat mehr als 15.000 Mitgliederorganisationen in allen Sparten der Bauindustrie.“2
Das ist nur mäßig erhellend. Was z.B. ist eine „gemeinnützige Handelsorganisation“? Ist mit der „Industrie, (die) nachhaltige(r) Gebäude unterstützt“, die Baubranche gemeint? Wissen müsste man dann, was sich hinter dem System / Schlagwort Leadership in Energy and Environmental Design (LEED) verbirgt, was die Unternehmensziele sind, welche Kriterien zur Zertifizierung notwendig und einzuhalten sind. Stutzig macht, dass die „Mitgliedsorganisationen“ aus „allen Sparten der Bauindustrie kommen“, von daher, so die Erfahrung, primär deren Interessen vertreten. Aber, womöglich ist das in den USA ganz anders.
Könnte die frische Liebe Müllers zu BilfingerBerger und den US-Boys an den Kriterien liegen, die die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB) ansetzt? Sollten die Hürden bei der DGNB höher sein? Immerhin bezieht das DGNB-Zertifikat bei der „Bewertung eines Gebäudes nicht nur ökologische, ökonomische und sozio-kulturelle Aspekte mit ein, sondern auch Technische Qualität, Prozessqualität und Standortqualität“, die allerdings „geht nicht in die Gesamtbewertung der Gebäudequalität ein“. Zudem werden die „Lebenszykluskosten“ einbezogen, d.h. Erstellung, Betrieb und Abbau eines Gebäudes. Vielleicht liegt es auch daran, dass eines von den rund 1100 Mitgliedern bzw. Mitgliedsorganisationen die Firma HochTief ist? Bekanntermaßen ein ebenfalls international tätiger Baukonzern, mit dem Müller bis vor kurzem eng zusammengearbeitet hat…
Core & Shell
Man muss nicht prinzipiell etwas gegen „Leadership“ haben, um hier hellhörig zu werden. Zumindest dann, wenn man die Vorliebe Reinhard Müllers für Superlative kennt. Im Müllerschen Monopoli tauchen nicht nur in Schöneberg immer „die ersten“, „die größten“, „die neuesten“ Privatuniversitäten, CO2-neutrale Stadtviertel und so weiter auf und häufig auch wieder unter.
Und so sollen auf dem Gasometergelände auch eindrucksvolle Leadership GOLD – U.S. GREEN BUILDING COUNCIL zertifizierte Gebäude in den Himmel wachsen. Wie grün sind die Betonburgen? Was ist dran am Gold? Eine Kleine Anfrage (0055/XIX) in der BVV Tempelhof-Schöneberg, brachte Interessantes zutage. Auf die schlichte Frage „In welcher Weise sollen die in Bau befindlichen Gebäude ein Vorbild für energiesparendes Bauen und Betreiben eines Bürogebäudes sein? Bitte die technischen Pläne und Effizienzkennzahlen benennen (…)“, wusste das Bezirksamt zu Antworten:
„Die Effizienz erreicht das internationale Zertifikat LEED Core & Shell im Status Gold, angestrebt ist zudem der Status Platin.“
Danach war nicht gefragt worden. Einmal davon abgesehen, wer hier tatsächlich geantwortet hat – sollte der Verfasser einer Bezirksamtsauskunft etwa auf dem Gasometergelände sitzen? -, wird versucht, die präzise gestellte Frage mit blumigen Geschwafel zu konterkarieren. Wenn die Antwort tatsächlich im BA formuliert sein sollte, hatte der oder die Antwortende offensichtlich keinerlei Ahnung vom dem, was das heißt: „LEED Core & Shell“.
Ein Sonderdruck aus Bauphysik 31 (2009), Heft 2, gibt Auskunft: LEED–CS bedeutet nichts anderes als Rohbau Bauvorhaben, (Core & Shell Development), also Kern und Hülle. Das Betreiben eines Bürogebäudes, die Effizienzkennzahlen ist eine ganz andere Sache. Zudem, so die Verfasser des achtseitigen Artikels: „Aus internationaler Perspektive haben Projekte in Deutschland „von Haus aus“ einen hohen Standard und erfüllen aufgrund der Normung und Gesetzgebung viele der in LEED geforderten Kriterien.“ Es geht sogar soweit, dass die Experten der Ebert-Consulting Group feststellen: „im Rahmen eines integralen Planungsansatzes (…) können sogar Kosteneinsparungen gebucht werden.“
Sollte dies ein weiteres Beispiel in der langen Reihe reißerisch angepriesener Mogelpackungen aus dem Hause Müller sein? Sicher und leider auch ein Beweis dafür, dass das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg noch immer unreflektiert Sprechblasen übernimmt, anstatt berechtigte Fragen möglichst präzise zu beantworten. Ob, und wenn ja welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind, sollte jeder für sich entscheiden.
Damit nicht genug. Am Zaun plakatiert das Bauunternehmen BilfingerBerger. Christdemokrat Roland Koch, bekannt geworden als „brutalst-möglicher Aufklärer“ der Nation,3 hat nach seinem Ausscheiden als Hessischer Ministerpräsident bei diesem Baukonzern angeheuert. Eher „zufällig“ stattet der Vorstandsvorsitzende in spe im September 2009 dem Gasometergelände einen Besuch ab. Neben Reinhard Müller stehen im Christdemokratischen-Empfangskomitee Frank Henkel, Florian Graf, Bernd Krömer und Jan-Marco Luczak spalier. Es sieht so aus, als hätte sich die Visite für alle bezahlt gemacht.4
Eine Recherche auf der Internetseite des U.S. GREEN BUILDING COUNCIL (LEED)[3] ergab Anfang August 2012, dass neben 34 kleineren deutschen Firmen seit 2008 auch Bilfinger Berger Mitglied ist. Und zwar seit 2008. Es stellt sich die Frage, ob womöglich allein die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung für die Rohbau-Zertifizierung ausreicht? Eine erneute kostengünstige Luftnummer, welche die Goldgräber am Gasometer in Szene setzen? Überraschen würde das nicht!
Rolf Brüning, 10.09.2012
Zum „System Koch“, das Buch „Ausgekocht – Hinter den Kulissen hessischer Machtpolitik“ von Pitt von Bebenburg u. Matthias Thieme, Eichbornverlag (2010), ISBN 3821865474; aus dem Klappentext:
„Der Koch ist tot, es lebe der Koch. Über viele Jahrzehnte hat die Tankstellen-Clique um ihre Anführer Koch und Bouffier die Regierungsübernahme im einstigen SPD-Land Hessen geplant, umgesetzt und erfolgreich zementiert. Kein Anlass also, die Macht wieder abzugeben – das System Koch funktioniert auch ohne den „brutalst-möglichen Aufklärer“. Schwarzgeldskandal, Steuerfahnder-Affäre, Fraport-Fiasko: Seit Franz Josef Strauß und Helmut Kohl ist kein Politiker mit so vielen Skandalen verbunden wie Roland Koch. Aber egal, wie oft er ertappt wurde, unfreiwillig tritt ein Koch nicht zurück. Sein Erfolgsgeheimnis war und ist die Politik der verschworenen Männer-Clique. Mit seinen Jugendfreunden hat er alle wichtigen Minister-Posten in Hessen besetzt, ein einzigartiger Vorgang in einem Bundesland. Jetzt ist der hessische Ministerpräsident nach gut 11 Jahren gegangen. Warum? Fürchtet er, doch noch von alten Sünden eingeholt zu werden, oder die nächste Wahl, die zur Schlappe hätte werden können? Der Anführer der Clique hat seinen Nachfolger Volker Bouffier eingesetzt, ausgerechnet jenen Mann, dessen dubiose Politik bereits zum vierten Mal einen Untersuchungsausschuss beschäftigt. Die beiden FR-Redakteure (…) zeigen, wie das System der Vetternwirtschaft, Klüngelei und des Machterhalts um jeden Preis funktioniert. Mit und ohne Koch. Denn Nachfolger Bouffier beherrscht das System Koch. Er hat es schließlich selbst mit aufgebaut.“ ↩
Frank Henkel ist heute Innensenator und Landesvorsitzender der Berliner CDU; Florian Graf, wurde nach Plagiatsvorwürfen im Frühjahr 2012 zwar seinen Dr.-Titel los, blieb aber CDU-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus; Bernd Krömer ist vom genehmigungsfreudigen Bau-Stadtrat in Tempelhof-Schöneberg und CDU-Generalsekretär zum Staatssekretär bei Henkel aufgestiegen; Jan-Marco Luczak ist nach wie vor promovierter Bundestagsabgeordneter – Chapeau!-Stand 09/2012 ↩