Planstraße – Der Griff in die Kasse
Genau zwei Tage vor seinem Amtsende hat am 21.11.2011 der Bezirksstadtrat Bernd Krömer (CDU) durch einen unanfechtbaren Nachtrag zum städtebaulichen Vertrag über die Planstraße vom Sachsendamm zum alten Gasag-Gelände (EUREF) den Bezirk Tempelhof-Schöneberg in die Verantwortung genommen. Es wurden noch schnell Fakten geschaffen: Projektentwickler Reinhard Müller sollte offenbar der Zugang zu öffentlicher Förderung eröffnet werden, um ihn finanziell zu entlasten. Zudem werden ihm durch den Nachtrag Optionen für gewinnversprechende Nachverhandlungen eröffnet.
Erschließungsproblem
Die so genannte Planstraße ist eine geplante Straßenverbindung, die vom Sachsendamm kommend an der Teske-Oberschule vorbei unter den Bahnanlagen der Ringbahn hindurch, die Torgauer Straße kreuzend, direkt auf das EUREF-Gelände am Gasometer führt. Diese Straße ist notwendig für die Erschließung des Geländes und vor allem dafür, dass dort mehr als die gegenwärtig genehmigten und vorhandenen Baumassen entstehen können.
Der momentane Bauten- und Genehmigungsstand von rund 46.400 m² Geschossfläche (GF) beruht auf einem Verkehrsgutachten des Vorhabenträgers EUREF vom 19.11.20101 und auf einer maximalen Auslastung der Torgauer Straße im jetzigen Zustand. Die Verkehrsbelastung soll sich dem Gutachten zufolge durch veränderte Nutzungsabsichten gegenüber dem Stand der Planung und Begutachtung von November 20092 erheblich verringern.3 Die Gutachter kommen zum Schluss:
Entsprechend der gutachterlichen Aussage (Anlage) ist die Erschließung von Neubauvorhaben im Bereich des B-Plans 7-29 bis zu insgesamt 46.400 m² BGF über die Torgauer Straße gesichert.4
Bei allem Zweifel, ob hier Theorie und Praxis übereinstimmen werden, steht fest: Mehr Bauen geht auf dem EUREF-Gelände mit der schmalen und steilen Torgauer Straße mangels ausreichender Erschließung nicht.
Planstraße
Weil dieses Problem immer bekannt war und die Bauten auf dem Gelände laut Bebauungsplan 7-29 mit fast 164.000 m² deutlich mehr Geschossfläche haben sollen, umfasste der Bebaungsplan von Anfang an die so genannte Planstraße. Diese Straße ist dient der verkehrlichen Erschließung und ist die Voraussetzung für die massive Bebauung des Geländes.
In einem öffentlich-rechtlichen Vertrag (auch städtebaulicher Vertrag) vom 10.07.2009 verpflichtete sich daher Reinhard Müller für die Eigentümerin des Grundstücks, die notwendige Planstraße zu errichten und fertig an das Land Berlin zu übergeben. Aus rechtlichen Gründen (es handelt sich hier rechtlich gesehen nicht um eine Grundstückzufahrt, sondern um eine öffentliche Straße) ist danach das Land Berlin Eigentümer der Straße und trägt die Betriebs- und Instandhaltungskosten.
Dass eine solche Straße wegen des Brückenbaus für die Unterquerung der Ringbahn teuer wird, war allen Beteiligten immer klar. Genaue Zahlen gab es jedoch nicht zu hören – schließlich hatte das Land Berlin mit dem Bau der Straße kostenmäßig nichts zu tun. Frühe Gerüchte besagten, es ginge um 13 Millionen Euro. Vor der Beschlussfassung in der BVV über den genannten Bebauungsplan war die Höhe der Kosten offenbar nie ein Problem.
Nachverhandlungen
Was fand jedoch hinter den Kulissen statt? Vermutlich hat Christian Kuhlo (ehemaliger Mitarbeiter der Senatsverwaltung Bau und jetzt für die Vorhabenträgerin EUREF tätig) das Stadtplanungsamt Tempelhof-Schöneberg mit seinem früheren Kollegen Andreas Baldow (ex-SPD, jetzt CDU) in einer Leitungsposition schon länger bearbeitet. Genauer wissen wir das nicht, weil das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg dem Verfasser dieses Artikels bei der Akteneinsicht zum Vorgang sämtliche Verwaltungsvorgänge vor dem 11.08.2011 vorenthielt. Fest steht, dass spätestens seit dem vergangenen Sommer verschiedene neue Varianten der Planstraße mit dem Bezirksamt, insbesondere Oliver Schworck, diskutiert werden. Eins scheint allen Planungsalternativen zugrunde zu liegen: Die Straße wird wesentlich schmaler als im ursprünglichen Vertrag geregelt und es fehlt deshalb ein Fahrradweg.
Fördertöpfe anzapfen
In einer Email vom 04.11.2011 des ehemaligen Baustadtrats von Schöneberg Uwe Saager (SPD), der jetzt Projektenwickler Müller anwaltlich vertritt, wird offen angesprochen, dass Fördermittel der Senatsverwaltung für Wirtschaft angezapft werden sollen. Der Projektentwickler gibt bei den Nachverhandlungen offenbar den Behörden an, die Kostenberechnungen für die Straße seien inzwischen enorm gestiegen (seit 2009). Uwe Saager schreibt:
die vertraglichen Änderungen sind derforderlich, weil entgegen der bei Abschluss des Ausgangsvertrages vorliegenden Erkennntnisse aufgrund der für die erforderliche Eisenbahnüberführung entstehenden Kosten mit gegenüber der ursprünglichen Kostenschätzung erheblich höheren Gesamtkosten (mehr als Verdoppelung) zu rechnen ist. Zur Reduzierung der Kosten ist mit dem Bezirk bereits Einvernehmen über eine Reduzierung des Straßenquerschnitts der Erschließungsstraße erreicht worden. Darüber hinaus hat die Senatsverwaltung für Wirtschaft eine Förderung der Maßnahme mit GRW-Mitteln in Aussicht gestellt. …. Die Förderung setzt voraus, dass der Bezirk, anders als zunächst beabsichtigt, die Erschließungsmaßnahme in eigener Regie durchführt….
Hinzuweisen ist darauf, dass diese vertraglichen Änderungen selbstverständlich nur wirksam werden, wenn es einen positiven Bescheid zur GRW-Förderung gibt. Kommt dieser nicht, bleibt es bei der bisherigen vertraglichen Regelung.5
Die versuchte Inanspruchnahme dieser Fördermittel verwundert: In seiner ersten Stellungnahme zum Bebauungsplan 7-29 hatte die Abteilung Tiefbau noch ausdrücklich betont, eine Inanspruchnahme von Fördermitteln für regionale Infrastrukturmaßnahmen komme bezüglich der Planstraße laut Senat nicht in Betracht:
Zur Finanzierung aus Mitteln zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur wird auf eine Stellungnahme der Wirtschaftsverwaltung verwiesen, die als Voraussetzung für die Förderfähigkeit, „die überwiegende Nutzung des Areals durch produzierende Gewerbe/KMU6 und wirtschaftsnahe Dienstleister“ erfordert. Dies ist nach dem vorliegenden Konzept nicht gegeben.
Tatsächlich zielen GRW-Fördermittel auf die Schaffung und Sicherung von Dauerarbeitsplätzen in Industrie und Gewerbe in strukturschwachen Gebieten ab. Das ist bei dem Standort am Gasometer, der inzwischen als Büro- und Dienstleistungszentrum vermarktet wird, wohl kaum der Fall. Hier werden Immobilien zur Vermietung errichtet, teilweise Wohnungen geplant. Nur mit Hilfe des Bezirks kann Projektentwickler Müller überhaupt einen Antrag stellen, er selber dürfte direkt gar nicht gefördert werden.
Der Vertrag
Also soll jetzt der Bezirk ran: Am 21.11.2011 schließen Reinhard Müller und Noch-Baustadtrat Bernd Krömer einen Nachtrag zum ursprünglichen städtebaulichen Vertrag. Die wesentlichen Änderungen:
- Die Herstellung der Planstraße erfolgt durch das Land Berlin (und nicht durch die Vorhabenträgerin)
- auf Grundlage einer veränderten Ausführungsvariante, die unter anderem einen wesentlich geringeren Straßenquerschnitt vorsieht.
- Die Kosten übernimmt die Vorhabenträgerin, soweit diese „nicht durch GRW-Fördermittel abgedeckt“ sind.
- Das Land Berlin verpflichtet sich, „unverzüglich nach Abschluss der erforderlichen Eisenbahnkreuzungsvereinbarung und der Festsetzung des Bebauungsplan 7-29 mit der Herstellung der Erschließungsanlagen“ zu beginnen.
- Der Nachtrag wird erst wirksam, wenn die Zusage der GRW-Fördermittel erfolgt. Der Bezirk ist zur Antragstellung verpflichtet.
Zwei Tage nach Vertragsunterzeichnung ist Bernd Krömer (CDU) nicht mehr Stadtrat und sein Kollege Oliver Schworck (SPD) wird durch einen CDU-Mann mit der Zuständigkeit Tiefbau ersetzt. Er stellt jetzt den notwendigen Antrag, verhandelt den immer noch ausstehenden Erschließungsvertrag mit dem Projektentwickler und baut womöglich dann auch die Straße.
Der BVV (der das Bezirksamt immer weis machen wollte, die Straße werde nicht öffentlich finanziert) wurde der Vorgang im Übrigen nur beiläufig erst jetzt im Ausschuss für Stadtplanung mitgeteilt. Wie die von 19,2 m auf 14,8 m Breite zusammengeschrumpfte Straße aussehen wird, soll offenbar im Ausschuss für Verkehr und Grünflächen am 27.2.2012 erörtert werden.
erstellt von der Firma Hoffmann & Leichter ↩
66.000 m² GF, 1.400 Arbeitsplätze, zusätzliche 1.200 Fahrzeugbewegungen täglich ↩
Stand November 2010: 46.400 m² GF und 30 Wohneinheiten, 950 Arbeitsplätze, jetzt nur noch 450 zusätzliche Fahrzeugbewegungen täglich ↩
Vorbemerkung Gutachten vom 19.11.2010; BGF=Bruttogeschossflächen ↩
E-Mail RA Uwe Saager an Bernd Krömer vom 04.11.2011, Hervorhebungen durch den Verfasser ↩
klein- und mittelständische Unternehmen ↩
und dann wundern sich wieder alle über niedrige Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit…
Dass Herr Krömer sich nicht schämt – wundert mich ob der ganzen Posse um das GASAG-Gelände eingentlich nicht – aber ärgert mich doch.
Sollte man als Amtsträger nicht grundsätzlich die Füße stillhalten, wenn klar ist, dass man faktisch abgewählt worden ist?!
Die Zählgemeinschaftsvereinbarung zwischen SPD und Grünen war zum Zeitpunkt o.g. Vertragsschlusses schon eine Woche alt!