Torgauer I: Geheime Geschenke
Auf den ersten Blick gibt es kaum eine unattraktivere Straße in Schöneberg. Wenn man zwischen den Eisenbahnbrücken am S-Bahnhof Schöneberg in die alte mit Kopfstein gepflasterte enge Straße abbiegt, die zwischen hohen Mauern eingezwängt ist, verlässt man den Sachsendamm und befindet sich in der Torgauer Straße. Alles andere als einladend, führt sie bergan und bietet neben holprigem Pflaster den vermutlich engsten Bürgersteig Schönebergs.
Ein großes Immobilienschild am Sachsendamm verkündet die Heilsbotschaft eines Immobilienprojekts, wenn man sich durch die Gasse hindurch wagt: Das „Europäische Energieforum“ wirbt um Partner.
Oben angekommen sieht man zunächst nichts von den Phantasien des Projektentwicklers Reinhard Müller. Eine Einfahrt führt auf das Gelände Torgauer Straße 12-15, auf dem als erstes die schon lange ansässige Firma Begatec zu sehen ist. Ein Backsteingebäude an der Straße in gotischem Stil verrät jedoch, wer hier einst residierte, nämlich die erste Gasanstalt südlich von Berlin, die sich an der Berlin-Potsdamer-Eisenbahnstrecke 1871 niederließ. Das Reglerhaus diente der Einspeisung des Gases in das öffentliche Netz.
Die Torgauer verläuft weiter parallel zur Ringbahn zwischen dem S-Bahnhof Schöneberg und dem Bahnhof Südkreuz und ist damit die südlichste Straße auf der von Eisenbahntrassen umzingelten Schöneberger Insel. Deren Bebauung begann vor 140 Jahren – und die heutige Torgauer Straße und die heutige Leberstraße waren die ersten Verkehrswege, die das neue Terrain südlich der Kolonnenstraße erschlossen.
Heute bietet die westliche Torgauer Straße den einmaligen Anblick verlassener Autowerkstätten, gesäumt von einem Sammelsurium an unterschiedlichen Gaslaternen. Auch wenn man es kaum vermutet, hier soll an unterschiedlichen Modellen die vom Senat beschlossene und kritisierte komplette Umrüstung der Berliner Gaslaternen auf Energiesparlampen getestet werden. Das Ende einer Ära, die mit der Errichtung der frühesten „Englischen Gasanstalt“ in Berlin 1826 begann und als erstes modernes städtisches Versorgungsnetzwerk die Städtetechnik revolutionierte. Die heute noch bestehenden 44.000 Berliner Gaslaternen legen ein Zeugnis von dieser Erfolgsgeschichte ab, die nichts weniger als eine kulturelle Revolution einleitete.
Doch zurück zur Schöneberger Gasanstalt, die von je her von der schmalen Torgauer Straße erschlossen wurde. Die hier geplante Bürostadt braucht aufgrund ihrer Größe von ca. 165.000 qm Geschossflächen eine leistungsstärkere Anbindung an das Straßennetz. Die kann wegen der Lage nur von Süden erfolgen. Und das bedeutet, die Ringbahn muss unterquert werden. Diese Art der Erschließung ist im Bebauungsplan 7-29 festgeschrieben, sie ist damit Voraussetzung für das mit diesem Bebauungsplan festgelegte Kerngebiet und seine wesentlich stärkere Ausnutzung des Grundstücks. Letztlich kann der B-Plan 7-29 ohne sie auch nicht rechtskräftig werden, da planfestgestellte Bahnanlagen von dieser Zufahrtsstraße betroffen sind.
Die neue Planstraße soll die Torgauer Straße ungefähr an der früheren Ringbahnspitzkehre kreuzen. Letztere ist nur noch am alten Widerlager der Brückenkonstruktion zu erkennen. Wie der Verlauf der neuen Straße aufgrund der Höhenverhältnisse aussehen wird, bleibt spannend. Jedenfalls soll die Torgauer Straße dann an dieser Stelle gesperrt sein.
Nicht nur das verrät uns der Bebauungsplan 7-29, sondern auch, dass der Bezirk eine öffentliche Grünfläche westlich dieser neuen Straße plant, und zwar auf der Nordseite des Bahndamms der Ringbahn, der kurz dahinter ja schon den Sachsendamm erreicht. Zwischen Sachsendamm und Planstraße soll also eine kaum nutzbare Grünfläche entstehen – auf Kosten des Steuerzahlers. Das fand auch das Amt für Natur des Bezirks absurd. In der erforderlichen Stellungnahme zum Bebauungsplan schrieb es:
Aus der Sicht des Fachbereichs Natur begründen Lage, Zuschnitt und Topografie der geplanten öffentlichen Grünanlage (1.900 m²) westlich der geplanten Erschließungsstraße an der nördlichen Bahnböschung der Ringbahn erhebliche Zweifel an einer sinnvollen Verwertung als öffentliche Parkanlage. Der bauliche Aufwand und die damit verbundene Vernichtung vorhandener waldartiger Vegetation würden in keinem Verhältnis zum erwartenden Nutzen stehen. Wenn der Zweck tatsächlich – wie in der Begründung dargelegt – in der optischen Erweiterung des Straßenraums Torgauer Straße liegt, dann müsste die Fläche konsequenterweise als Straßenland ausgewiesen werden. Das würde aber nichts am schwierigen Umgang mit dem Grundstück ändern, sowohl bei einem Umbau als auch bei der Unterhaltung im mehr oder weniger unveränderten Zustand. Es sei daher sinnvoller, die Fläche im Vermögen der Bahn zu belassen.
Das Urteil der Kollegen ficht bislang jedoch das Amt für Planen unter Andreas Baldow nicht an. Auch offenbar die Tatsache nicht, dass der Flächen- nutzungsplan genau dort keine Grünanlage vorsieht! Die in seiner Argumentation vorgeschobene Notwen-digkeit einer Fuß- und Radweg-verbindung an dieser Stelle sollte angesichts der Sperrung der Torgauer Straße kein Problem darstellen und keine zusätzlichen Flächen nötig machen. Außerdem verteidigt das Amt für Planen die Grünfläche als „integralen Teil der Landschaftsplanung“ im Rahmen des Stadtumbaus Südkreuz. Erstaunlich ist da nur, dass die Fläche bei der ersten Aufstellung des Bebauungsplans nicht von Interesse war.
Erst bei der zweiten Beteiligung taucht das zweifelhafte Stück Grün im April 2009 in seiner jetzigen Ausdehnung auf. Direkt gegenüber auf der anderen Seite der Torgauer liegt laut neuem B-Plan 7-29 im Übrigen in der Zukunft dann ein 55 m hohes Gebäude. Als Motivation für die Grünflächenplanung kann man wohl getrost die einseitige Parteilichkeit des Amtes unter Stadtrat Bernd Krömer annehmen.
Der Nutznießer ist mit Sicherheit nicht die Öffentlichkeit. Von ihr sind aber die vermutlich hohen Kosten für den Bau der Grünanlage zu tragen, die noch nicht beziffert werden können. Denn ganz offensichtlich sind hier bauliche Maßnahmen zur Stützung des Bahndammes notwendig. Während der Ankauf wegen der kommerziell sonst nicht zu verwertenden Fläche gering sein wird, handelt sich der Bezirk natürlich dauerhafte Unterhaltskosten ein. Die Kosten für die Sanierung der Bodenaltlasten dieser westlich der Planstraße gelegenen Fläche beziffert der Bezirk außerdem mit 44.744 Euro. Hinzuzuziehen sind die Kosten der Erstellung der Grünfläche, die aufgrund der ungeeigneten Lage sehr aufwändig sein wird. Warum sollte der Steuerzahler die kosmetische Umfeldbegrünung eines Kerngebiets mit Büros finanzieren, noch dazu in der Nähe einer zukünftig viel befahrenen Straße?
Hallo!
Bei den geplanten Grünflächen muss man allerdings etwas differenzieren, und zwar zwischen dem Abschnitt westlich der Cheruskerstraße und dem östlichen. Die Torgauer soll ja geschlossen werden, so denn die Planstraße kommt (was ich noch bezweifeln möchte). Angenommen aber, sie käme, würde der ganze Bereich der Torgauer inklusive der Schrauberbuden nördlich und südlich der Straße dem Cheruskerpark quasi zugeschlagen werden. Der Text ist daher meiner Meinung nach etwas irreführend, da es sich hier definitiv nicht um einen schmalen Grünstreifen handeln würde, sondern um eine doch ganz beachtliche Parkerweiterung (um deren Umsetzung man sich dann ja immer noch streiten könnte!). Insofern könnte ich mir auf dem Foto durchaus eine Grünfläche vorstellen, wenn die Straße verschwindet!
Anders sieht es östlich der Cheruskerstraße aus auf dem Streifen bis zur Naumannstraße – hier könnte man über den Sinn schon eher diskutieren. Wobei ich als direkter Anwohner ehrlich gesagt froh bin, wenn die Autohändler verschwinden und es etwas grüner wird. Zweifel, ob das Geld gut angelegt ist, bleiben zwar bestehen, aber einen schöneren Ausblick hätte ich schon gerne….
Lieber Textbauer,
ganz richtig: Es gibt umfangreiche Planungen für die erhebliche Erweiterung von Grünflächen an der Torgauer Straße als Teil der „Schöneberger Schleife“! Die Grundstücke liegen entlang der Ringbahn und sind derzeit noch Autowerkstätten oder verlassene Werkstätten. Außerdem ist natürlich das sog. „Cheruskerdreieck“ nördlich der Torgauer Straße (verlassene Autowerkstätten) betroffen. Das sind in der Tat erhebliche Flächen, und über diese soll auch noch berichtet werden!
Hier ging es zunächst nur um eine kleine Fläche, die nicht Teil der ursprünglichen Planungen der „Schleife“ ist. Sie wurde erst mit dem Bebauungsplan 7-29 (Gaswerksgelände) geschaffen und stellt in Verbindung mit der „Schleife“ keine Notwendigkeit dar, denn sie liegt westlich der zukünftigen Erschließungsstraße zum Gelände „Euref“. Dort sind oder waren keine Autowerkstätten, sondern es liegt dort eine Böschung wie im Foto genau gezeigt. Der Abschnitt befindet sich quasi gegenüber der Einfahrt zum früheren Gaswerk (Torgauer Str. 12-15)
Da es so viel über die Torgauer Straße zu berichten gibt und die laufenden Planungen, war dies nur ein erster Teil. Fortsetzung folgt!
Hallo,
dann nehme ich natürlich den Einwand zuzück und warte gespannt auf die Fortsetzung!
Dennoch muss ich schreiben, dass das beschriebene Teilstück im jetzigen Zustand (wie im Text erwähnt) als Rad- und Fußweg gänzlich ungeeignet ist, also ein Umbau und Rückbau der Torgauer notwendig ist (der Bedarf für eine vernünftige Verbindung von der Insel zur Dominicusstraße und zum Bahnhof Schöneberg ist sicher gegeben, auch wenn es die Schleife nicht betrifft). Die Frage ist dann, inwieweit Müller hier zur Kasse gebeten werden könnte (vermutlich schwierig, da er die Planstraße bezahlen müsste) und wie das ganze gestaltet werden kann. Eine Aufenthaltsqualität ist hier ganz sicher nicht gegeben, auf Firlefanz kann also verzichtet werden.