Torgauer II: Geheimnisvolle Straßenplanung
Im Teil I zur Torgauer Straße begann der Weg im Westen am Sachsendamm. Über das alte mehr als hundertjährige historische Pflaster ging es die Steigung hinauf bis zum alten Gaswerksgelände. Wie geht es hier im Westen der Torgauer weiter? Zum einen will der Bezirk Steuergelder in eine völlig überflüssige Grünfläche nördlich der Ringbahn und westlich einer neuen Planstraße an einer Bahnböschung ausgeben. Gleichzeitig steht fest, dass zur Erschließung des Bürostandorts „EUREF“ auf dem alten GASAG-Gelände diese neue Straße (Planstraße) kommen muss. Das legt der Bebauungsplan 7-29 fest, der für den Projektentwickler Reinhard Müller aufgestellt wurde. Der entsprechende städtebauliche Vertrag zwischen Bezirk und Müller aus dem Jahr 2009 ist jedoch in Bezug auf die Planstraße recht ungenau. Eindeutig ist dort aber trotzdem festgehalten:
„Auf der Grundlage des … beigefügten Vorentwurfs übernimmt der Vorhabenträger die Planung und Herstellung der noch abschließend abzustimmenden und im Erschließungsvertrag verbindlich festzulegenden Erschließungsanlagen für das Bebauungsplangebiet im eigenen Namen und für eigene Rechnung.“
Es wurde geregelt, dass die Kosten allein durch den Projektentwickler getragen werden sollten und die Straße nach Fertigstellung in den Besitz des Landes Berlin übergeht, das fortan den Unterhalt finanziert.1
Zu Beginn des Jahres wurde in den Ausschüssen für Tiefbau (23.1.12) und Stadtentwicklung (8.2.12) kurz von neuen Fakten berichtet. Auf dieser Website wurde nach Recherchen der BI erstmals ausführlicher dargestellt, was sich in den letzten Monaten hinter verschlossenen Türen getan hat. Der Bezirk will einen Antrag zur Förderung der Erschließungsstraße durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft stellen. Es sollen also gezielt mit Hilfe des Bezirks Mittel aus der regionalen Wirtschaftsförderung (GRW) angezapft werden. Verpflichtet hat sich der Bezirk hierzu mit einer Unterschrift des ehemaligen Baustadtrats Bernd Krömer in einem Nachtrag zum städtebaulichen Vertrag vom 21.11.2011. Seit dem letzten Sommer und der letzten Abstimmung in der BVV wurde offenbar in aller Stille neu verhandelt. Als die Wahlen vorüber und die politischen Ämter bei Senat und Bezirk verteilt waren, schritt Krömer zur Tat und hinterließ ein weiteres Geschenk an Reinhard Müller: Der Bezirk baut die Straße! Aber: Kommen die Steuermittel (GRW) nicht, dann ist der Projektentwickler wieder am Zug.
Was bedeutet dies für die konkrete Planung? Die im städtebaulichen Vertrag festgelegte und in der Begründung zum B-Plan beschriebene Planstraße (Variante 2b) wurde mit Zustimmung der vor den Wahlen zuständigen Stadträte Krömer und Schworck nach den Wünschen von Reinhard Müller gekippt. Der Projektentwickler hat zuletzt in den Sommermonaten des letzten Jahres darauf hingearbeitet, die Breite der Straße zu reduzieren, damit sich die Kosten verringern. Auch wenn die Fördermittel nicht fließen, kann der Bezirk wohl kaum noch auf der alten Straßenplanung bestehen, dazu hat er sich zwischenzeitlich zu weit über den Tisch ziehen lassen. Und Müller hat mit dem Argument, die Straße sei plötzlich zu teuer geworden, sowohl die Reduzierung der Straße als auch die Antragstellung auf Fördermittel vom Bezirk problemlos bekommen. Die neue Stadträtin für Stadtentwicklung Klotz fasste es vor der BVV am 15.2.2012 sinngemäß so zusammen: Die Lücke zwischen dem, was der Investor bereit oder in der Lage ist zu zahlen, und der jetzigen Kostenlage soll durch Fördermittel abgedeckt werden.
Die Reduzierung des Straßenquerschnitts soll dem Projektentwickler vor allem Geld für den Bau der Eisenbahnbrücke zur Unterquerung der Ringbahn sparen.2 Wie hoch die Kosten aber sind, wurde in den bezirklichen Gremien bislang nicht genannt. Vor einem Jahr jedenfalls ging man von knapp 10 Millionen Euro aus. Das Bezirksamt gab folgende Auskunft:
„Die Kosten für die Herstellung der Planstraße einschließlich Brückenbauwerk wurden von den Verkehrsplanern des Vorhabenträgers mit ca. 9.378.390,00 € ermittelt. Die Kosten für den ca. 10 Meter breiten Grünstreifen entlang des östlichen Fuß- und Radweges werden gemäß städtebaulichem Vertrag vom Land Berlin getragen.“3
Bei der Aufstellung des B-Plans 7-29 war eine Variante der Straßenführung verhandelt und festgelegt worden, mit der man der Öffentlichkeit und BVV versicherte, sie würde dem Flächennutzungsplan und der verbindlichen Bereichsentwicklungsplanung entsprechen (Grünzug). Diese Argumentation war auch zu hören bei der Erwiderung auf die Frage, warum eine private Zufahrt öffentlich unterhalten werden soll.
Im Sinne einer öffentlichen Grünzugverbindung sollte der Fahrstreifen für Radfahrer ursprünglich für die Unterquerung der Bahn in einen eigenen Radweg münden. Für die Fußgänger waren 3 m, für die Radler 1,6 m vorgesehen. Inzwischen ist von einer gleichberechtigten Nutzung von Fußgängern und Radfahrern nicht mehr viel übrig. Der Straßenquerschnitt wird nach derzeitigen Vorstellungen von 19,2 m auf 14,5 m reduziert. Es gibt also keinen Platz mehr für den Radfahrweg. Deshalb wird jetzt eine Tempo-30-Zone geplant, nur so können die Radfahrer auf die normale Fahrbahn geschickt werden.
Bekanntermaßen laufen auf der Ringbahn S-Bahn-Gleise, Fernbahngleise und ein derzeit nicht aktives Gütergleis (südlich). Damit eine angemessene Durchfahrtshöhe entsteht, muss die Planstraße durch eine Senke geführt werden, und nur mit einer deutlichen Steigung (5 %) kann sie nördlich das Niveau der Torgauer Straße wieder erreichen. Ein Vergnügen wird der „Abstieg“ unter die Eisenbahn für Passanten bei der Länge und der neuen Enge der Unterführung nicht sein.
Jenseits des Bebauungsplans 7-29 plant der Bezirk mit dem gerade wieder ausgelegten Bebauungsplan XI-231b die weitere Umgestaltung der Torgauer Straße. Aus diesem Plan ergibt sich, dass die Torgauer zwischen Cheruskerstraße und der neuen Planstraße zum ehemaligen Gaswerksgelände gesperrt sein wird. Hier soll eine Grünfläche entstehen, die den Cheruskerpark nach Süden weiterführt. Bis es aber dort zu einer Unterbrechung des Fahrzeugverkehrs kommt, wird es offensichtlich noch dauern. Damit der Baustellenverkehr vom Immobilienentwickler EUREF zwischenzeitlich aber nicht auf die „Rote Insel“ fließt, hat sich Reinhard Müller im städtebaulichen Vertrag dazu verpflichtet, nur die Ein- und Ausfahrt direkt über den Sachsendamm zu benutzen:
„Der Vorhabenträger verpflichtet sich, den Baustellenverkehr zum Vertragsgebiet bis zur Fertigstellung der Planstraße ausschließlich über die südliche Torgauer Straße mit Zu- und Abfahrt über die Einmündung in die Dominicusstraße/den Sachsendamm abzuwickeln.“
Und das wurde auch der Öffentlichkeit und der BVV vermittelt. Die Praxis sieht seit letztem Sommer aber anders aus. Zur Einfahrt in die Torgauer Straße 12-15 wird gerne der Sachsendamm genutzt, zur Ausfahrt aber bewegen sich die meisten Baufahrzeuge gezielt in Richtung Osten. Daran hat ein Beschluss der BVV zur permanenten Sperrung der Torgauer Straße4 vom Mai 2011, den die SPD herbeigeführt hat, nichts geändert. Vielmehr musste der zuständige Stadtrat Schworck (SPD) jetzt auf Nachfrage in der BVV-Sitzung vom 15.2.2012 einräumen, dass eine Sperrung laut Straßenverkehrsbehörde gar nicht in Frage komme. Dort sei man zu dem Schluss gelangt, der zunehmende Bauverkehr hätte erhebliche Auswirkungen auf den Sachsendamm. Eine einzige Zu- und Abfahrt sei nicht ausreichend.
In nächster Zukunft ist also in der Torgauer Straße in beiden Richtungen und damit auf der ganzen „Roten Insel“ mit erheblich mehr Verkehr zu rechnen. Er setzt sich aus dem Bauverkehr für bis zu 4 großen Bürogebäuden von EUREF und den Fahrzeugen zusammen, die die neuen und die alten Mieter in den EUREF-Immobilien mit sich bringen.5 Beides wird sich wahrscheinlich überschneiden, weil die Planstraße für EUREF nicht zügig realisiert wurde. Das sind ganz offenbar die Fakten, auch wenn der Bezirk hierzu schweigt. Die Verwaltung hat sich in erhebliche Widersprüche verstrickt: Der BVV hat das Bezirksamt mit Hilfe eines Verkehrsgutachtens letztes Jahr noch versichert, es sei gar kein Problem, die Planreife für die vier EUREF-Bauten zu genehmigen. Dafür sei die Torgauer Straße über die Einfahrt/Ausfahrt Sachsendamm/Dominicusstraße vollkommen ausreichend!
Die Planstraße wird auf öffentlichem Land gebaut. Das Land Berlin hat hierzu auch neue Flächen angekauft. Eine 115 qm große Fläche direkt an der Einfahrt auf das Gelände (Bezirksbesitz) wird gegen 341 Straßenland (im Besitz einer Firma von Reinhard Müller) getauscht. ↩
Die Ausführung für das Brückenbauwerk übernimmt die Bahn. Erst nach Herstellung der Brücke kann im Übrigen der Bebauungsplan 7-29 festgesetzt werden. Es fehlt außerdem bis heute: Die Kreuzungsvereinbarung zwischen dem Land Berlin und der Deutschen Bahn. Ein Erschließungsvertrag zwischen Bezirk (Zuständigkeit CDU-Baustadtrat Krüger) und Projektentwickler Müller. ↩
Kleine Anfrage 554 vom 20.4.2011. Der Grünstreifen befindet sich südlich der Ringbahn auf der Seite der „Schöneberger Linse“ und soll dem Flächennutzungsplan entsprechen. ↩
Drucksache 1805/XVIII: Die Bezirksverordnetenversammlung ersucht das Bezirksamt, die Torgauer Straße aus Richtung Osten etwa in Höhe der Cheruskerstraße für den Durchgangsverkehr zu sperren. Die Sperrung soll physisch erfolgen und nicht nur durch eine geänderte Beschilderung. ↩
Unabhängig davon gibt es ja auch noch die Begatec. ↩