Fahrradwege prallen auf Tulpenschilder
Einen seltsamen Verlauf nahm die Veranstaltung des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg mit dem Thema „Bürgerinformation Grünzug Südkreuz und Querung Wannseebahngraben“ am 19.04.2012. Einfache Hinweise der etwa 100 anwesenden AnwohnerInnen auf Planungslücken des Bezirksamts sorgten für fachliche Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Bezirksamts und zeigten vielfach bessere Detaillösungen auf.
Nachbesserung versprachen die MitarbeiterInnen des Bezirksamts beim Fahrradverkehr über den als „Saager-Steig“ bekannten Weg von der Roten Insel Richtung Ebersstraße und bei den Details der Parkgestaltung. Und das Cheruskerdreieck bekommt vielleicht sogar eine Rodelbahn. Nur an Julius Leber will niemand so richtig erinnert werden.
Die Einladung zur Veranstaltung war in 8000 Exemplaren gedruckt worden. Eine solche Menge reicht nach unseren eigenen Erfahrungen, um jeden Haushalt auf der Roten Insel und in der Ebersstraße mit je einem Flyer zu versorgen. Allerdings waren die Verteiler des Bezirksamts scheinbar nicht über die Leuthener Straße hinaus gekommen. Weite Teile unserer Nachbarschaft, die von zuständigen Fachbeamtin Frau Hoffmann als „Gebietskulisse“ bezeichnet wurde, hatten jedenfalls keine Einladung erhalten.
Trotzdem waren etwa 100 AnwohnerInnen erschienen. Sie bekamen einen Abriss der Planung des Grünzuges entlang der Torgauer Straße und im südlichen Teil des Cheruskerparks (das so genannte „Cheruskerdreieck“). Hier soll vor allem der etwa 20 Meter breite Streifen vor dem Bahndamm abgeflacht werden, so dass er ohne die brüchigen Stützmauern mit einem Gefälle von 2-3 % unmittelbar an die Höhe des Bürgersteiges der Torgauer Straße anschließt. Auch im Bereich des Cheruskerdreiecks sind Geländeverschiebungen geplant, um die zum Teil beträchtlichen Niveauunterschiede anzugleichen.
Ebenfalls vorgestellt wurde die noch in diesem Jahr fertigzustellende Verbindung zwischen Ebersstraße und Cheruskerpark (der „Saagersteig“, weil der frühere Baustadtrat und heutige Anwalt von Reinhard Müller Uwe Saager diese wichtige Wegeverbindung bereits vor mehr als 10 Jahren praktisch fertig geplant und finanziert hatte). Ein nach der ursprünglichen Planung des Bezirksamts nur 2,5 Meter breiter Steg soll den in diesem Bereich liegenden Kabelschacht überbrücken – eine sicherheitstechnische Auflage der Bahn.
Auf Nachfrage des Publikums, wie sich denn dies mit der starken Nachfrage nach Fahrradverkehr auf dieser Strecke und der überörtlichen Ost-West Fahrradverbindung vom Tempelhofer Feld über die neue Brücke an der Fernbahn Papestraße/Leuthener Straße vertrage, erklärte die für die Planung beim Bezirksamt federführende Frau Hoffmann:
Also vor den Weg kommt die Tulpe. Wir bieten das (den Fahrradverkehr) von uns aus nicht an.
Helle Empörung der AnwohnerInnen und bei Fachleuten. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass eine derartige Planung völlig sinnlose Planungsruinen schaffe: Ein überörtlicher Radweg, der in Schöneberg an einer neuen wichtigen Teilstrecke vor einem Tulpenschild endet, ist kein Zeichen planerischer Kompetenz und eine Zumutung für Radfahrer.
Diese Einwände wurden zumindest gehört. Der langjährige Chefplaner des Bezirksamts Siegmund Kroll griff die Bedenken sofort auf und machte sich für eine fahrradfreundliche Verbreiterung der Brücke und des Weges stark. Das liege durchaus im Bereich des Möglichen, erklärte er. Von anwesenden Aktivisten aus dem Bereich des kürzlich fertig gestellten Parks Gleisdreieck kamen dazu launige Kommentare. Gemeinsame Wegenutzung durch Fußgänger und Radfahrer sei jedenfalls in Kreuzberg kein Problem, sondern im Gleisdreieck Praxis des Bezirksamtes. In Kreuzberg rufe die kurzsichtige und fahrradfeindliche Detailplanung der Schöneberger Bezirksamtsmitarbeiter immer wieder Kopfschütteln und Verwunderung hervor. Es bleibt zu hoffen, dass die Tulpe der Frau Hoffmann vom Schöneberger Bezirksamt im Interesse der Fahrradfahrer und einer längerfristig orientierten Planung verschwindet.
Auch andere Detailvorschläge der ortskundigen AnwohnerInnen stießen bei den Planern auf Interesse – offenbar hatte man sich mit den Details der „Gebietskulisse“ noch nicht so ganz genau vertraut gemacht:
Eine Rodelbahn kann im Cheruskerdreieck eine kostengünstige Attraktion für die vielen Kinder und Jungfamilien der Insel darstellen. Sie würde zugleich das gefährliche „Wildrodeln“ auf dem Parkweg neben der Kiezinsel mit seinen gefährlichen und „schicken“ Edelstahlgeländern beenden.
Dort gibt es jeden Winter Schlittenbruch, manchmal auch mehr…
kommentierte eine anwesende Trägervertreterin des TAEKs diese Notwendigkeit.
Auch eine von den Planern des Grünzuges angedachte „Verbindung“ des Grünzuges auf Höhe der Leberstraße mit dem gegenüber liegenden Spiel- und Bolzplatz lässt sich offensichtlich nicht so einfach herstellen. Dort befindet sich eine Bushaltestelle und die Torgauerstraße ist und bleibt eine stark genutzte Erschließungsstraße. Auch darauf mussten die Planer von Ortskundigen aus der „Gebietskulisse“ hingewiesen werden.
Die Veranstaltung hat deutlich gezeigt, dass eine frühzeitige Einbindung der AnwohnerInnen in solche Planungsprozesse für das Ergebnis immer vorteilhaft ist: Fehlende Detailkenntnisse des Amtes werden ergänzt. Die Anwohner können leicht sinnvolle Beiträge leisten und dadurch kostspielige und ärgerliche Planungsfehler vermeiden. So gesehen war die Veranstaltung -wenn die Anregungen in der weiteren Planung berücksichtigt werden- ein erster Schritt in die richtige Richtung. Völlig ungeklärt ist aber noch, wie dem berühmten Widerstandskämpfers Julius Leber angemessen gedacht werden kann. Er (und später seine Witwe) betrieben an der Kreuzung Leber/Torgauer Straße lange Jahre eine Kohlenhandlung, in deren Räumen unter anderem der Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 organisiert wurde.
Ein weiterer Bericht über die Veranstaltung findet sich auf dem Rote-Insel Blog.