Wutbürger und Leuchtwurm – das Jahr 2010
Wutbürger ist das Wort des Jahres 2010. Wohl nichts hat das Jahr 2010 politisch so geprägt wie die Proteste steuerzahlender Wahlbürger gegen größenwahnsinnige Planungen politischer Zirkel in Stuttgart. Doch „Stuttgart 21“ spielte sich auch am Gasometer ab, wo sinnfreie Bauplanung, Gefasel vom „Leuchtturmprojekt“ und mühsam kaschierte Denkmalverschandelung genügend Stoff für unsere Bürgerinitiative und viele interessante Aktionen und Artikel boten.
Krömers Traum
Es begann ganz harmlos und nett mit unserem Filmabend am 14.01.2010. Wir zeigten „Henners Traum“ einen ebenso leisen wie entlarvenden Dokumentarfilm des hessischen Filmemachers Klaus Stern über die vollständig sinnlosen Aktivitäten eines hessischen Gemeindebürgermeisters, um das größte Tourismusprojekt Europas in eine landschaftlich reizvolles aber leider sehr regenreiches Naturschutzgebiet zu holen.
„.. das wird ein Leuchtturmprojekt! 5 Luxushotels, 5 Sterne, 5 Golfplätze“
Ähnliche Sprüche sollte man in diesem Jahr auch am Gasometer noch häufiger hören.
Fachliche Fehler und Stagnation
Im Februar kam heraus, was bereits zuvor gemunkelt wurde: Der überhastet verabschiedete Bebauungsplan 7-29 hatte die Fachprüfung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht überstanden und wurde an den Bezirk zurückverwiesen. Baustadtrat Krömer zog sich darauf zurück, die 4-5 Beanstandungen seien ja bei einem so „anspruchsvollen Projekt“ eher ein Resultat der besonders sorgfältigen Arbeit seiner Verwaltung. Jedoch konnte die Behebung der Mängel nicht mehr im Jahr 2010 abgeschlossen werden. Zudem gab es immer wieder Gerüchte über schwelende Konflikte im Amt für Planen des Bezirks, dessen Mitarbeiter wohl nicht wie ihr Chef bedingungslos Planungsrecht und Denkmalrecht wegen eines Projekts von zweifelhafter Güte aushöhlen lassen wollten.
Doch das Jahr 2010 machte wie das Jahr 2009 anschaulich, dass die „Entwicklung“ des alten Gaswerksgeländes nicht vorankommt. Investoren gibt es nicht. Von einer Universität ist weit und breit nichts in Sicht. Nicht nur sind die hochfliegenden Pläne des Projektentwicklers überhaupt nicht ins Rollen gekommen, auch die vielen Versprechungen stellten sich als falsch heraus. Mit durchsichtigen Manövern musste daher über die offensichtliche Stagnation hinweggetäuscht werden, z.B. was die Sanierung des Gasometers angeht.
Frühjahr bringt Schlammschlacht
Wenn der Schnee taut und nichts passiert, ist die Schlammschlacht nicht weit. Nach einem erbitterten Ringen innerhalb des Bezirksamtes (von dem man als Außenstehender nicht mehr mitbekam als Andeutungen, Raunen und verdrehte Augen) wechselte Andreas Baldow (damals noch SPD) in das Amt für Planen beim Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und legte gleichzeitig sein Amt als Bezirksverordneter der SPD nieder. Baldow war zuvor Sprecher seiner Fraktion für Stadtplanung und Vorsitzender des Ausschusses für Stadtplanung. Baldow plant seither als Mitarbeiter des Bezirksamts das, was er vorher stets -emotional und faktenfrei- verteidigt hatte, unter anderem mit den Worten:
„Bei dieser Planung habe ich einfach ein gutes Bauchgefühl.“
Auch die Presse äußerte sich nun kritisch zum Stillstand am Gasometer. Wir nahmen einen Artikel in der TAZ mit dem Titel „Investor kratzt am Denkmal“ zum Anlass, über das Zerwürfnis zwischen Bezirksamt (damals noch ohne Andreas Baldow) und Projektentwickler Reinhard Müller zu berichten.
Offensichtlich lästig, denn prompt verklagte Müller den Autoren des Berichts. Nicht wegen der Fakten – die waren ja zutreffend. Vielmehr wurde behauptet, die in unserem Artikel verwendete Fotomontage würde die von Müllers Mannen in den Wasserbehälter des Gasometers gesägten Löcher zeigen. Können Sie das auf dem nebenstehenden Bild (welches eine Zeitlang unseren Bericht verunzieren musste) etwa nicht erkennen?
Diesen Zensurversuch konnten wir unterbinden. Eine für Presserecht zuständige Kammer des LG Hamburg wies mit Urteil vom Dezember 2010 die Klage Müllers ab.Die von Müller bemühte Zweideutigkeit der Fotomontage stelle nicht weniger als einen Zensurversuch dar, meinte die sonst als eher pressefeindlich und streng bekannte Kammer und verschaffte uns damit den für eine öffentliche Diskussion und Auseinandersetzung notwendigen Schutz der Meinungsfreiheit.
Werkstattgespräche und böse Autos
Wer Mittel aus dem EU-Programm „Stadtumbau West“ in Anspruch nimmt wie der Bezirk Tempelhof-Schöneberg, muss dem Subventionsgeber Bürgerbeteiligung nachweisen. Grund für das Bezirksamt sich nun darin zu versuchen, diese Bürgerbeteiligung mit so genannten „Werkstattgesprächen“ zu organisieren, bei denen vor allem die eingeladenen Bürgerinnen und Bürge dazu dienten, dem Bezirksamt die Kulisse für den Subventionsgeber zu liefern.
Christiane entdeckte im subventionsorientierten Getrommel der Presseleute von EUREF die kleine aber feine Geschichte von den „Guten Autos und bösen Autos“ – eine weitere Luftnummer am Gasometer.
Denkmalschutz und Leuchtwerbung
Inzwischen war der Gasometer selbst an vielen Stellen angesägt und auf hässliche Art und Weise verändert worden, wie wir ausführlich dokumentierten. Die von uns auf vielen verschiedenen Wegen (BVV, Landesdenkmalamt) vorgebrachten Hinweise, dass hier planmäßig gegen das Landesdenkmalschutzgesetz verstoßen werde, führten allerdings nur dazu, dass das Bezirksamt die Verstöße (und Löcher) teilweise mit einer rückwirkenden Genehmigung sanktionierte. Andere Veränderungen bemerkte das Bezirksamt gar nicht erst. Wir mussten erst mit der kleinen Fabel vom Denkmalkönig darauf aufmerksam machen, dass mehrere hässliche (und bis heute nicht genehmigte -) Umbauten am Gasometer diesen immer mehr verschandeln.
Das Jubiläum des vor 100 Jahren fertig gestellten Gasometers hat uns zu Führungen „Rund um das Gaswerksgelände“ zum Tag des offenen Denkmals im September angeregt und zu einem ausführlichen Bericht über die Geschichte des Gasometers. Die rege Teilnahme und die vielen Nachfragen zum Denkmalschutz haben uns gezeigt, dass der Gasometer als stadtbildprägendes Denkmal auf großes Interesse stößt und für das Umfeld auf der Roten Insel tatsächlich ein Bauwerk darstellt, mit dem sich die Anwohner identifizieren.
Zum Jahresende haben wir uns intensiver mit der Leuchtwerbung am Gasometer beschäftigt. Die Schlüsse, die wir aus dem denkmalschutzwidrigen Vertrag, den wir öffentlich gemacht haben, ziehen mussten, waren klar und eindeutig: So funktioniert Denkmalschutz niemals!
Grund genug für den Report Leuchtwerbung, die schier unglaubliche und schmutzige Geschichte von Inkompetenz und Vorteilsgewährung bei der Genehmigung und Abwicklung der Leuchtwerbung. Die Leuchtwerbung ist in 2010 grandios gescheitert und wirbt nur noch für sich selbst. Wir werden sehen, was das nächste Jahr am Gasometer bringt.
Und eine der letzten Meldungen dieses Jahres:
Henners Traum ist beendet. Der Don Quichotte aus dem Film von Klaus Stern ist jetzt ganz offiziell mit seinem „Projekt“ beerdigt worden.